Seit dem Oldtimertreffen in Thurnau 2016 habe ich mir vorgenommen, für die VW Scene so viele brasilianische Volkswagen wie möglich zu fotografieren. Und ich war gut im Spiel, halte in der VW Scene unter allen „Freien Jaegern“ mit Sicherheit den Brasil-Rekord. Der Bus sollte meine Serie fortsetzen, parkte bereits in der Vorschau für die 1/23, doch leider, leider …. Finito

Eigentlich hatte Bernd Stöcker nie einen Bus im Sinn. Bei einem etwas längerem Aufenthalt im Klinikum entdeckte er im Netz dieses Prachtexemplar. „Wenn ich diesen Ort jemals wieder lebend verlassen werde, dann… “. Er nutzte seinen Bausparer, schließlich ist ein VW Bus wie eine Wertanlage.

Basteln an luftgekühlten Objekten ist das Ding des gelernten Werkzeugmachers, sei es an seinem 1965er Käfer, einem Trike oder dem Sezieren von Boxermotoren. Dass der in Brasilien für den deutschen Markt aufgebaute und bei einem Importeur getüvte Bus genügend Bastelreservoir bereit hält, stellten einige Macken unter Beweis. Nach der ersten Ausfahrt schaffte Bernd den Bus sicherheitshalber zur Durchsicht in eine Freie Werkstatt. Ziemlich exotisch waren die Bremsleitungen verlegt worden und neigten zum Durchscheuern. Irgendjemand hatte vergessen, die Bremstrommeln vernünftig festzuziehen. Glücklicherweise sorge ein Splint dafür, dass die Räder nicht das Auto überholen.

Doch der Hammer fiel erst nach der ersten großen Bewegungsfahrt. Der originale 1,5 Liter Boxer mit 40 PS stieß seinen Keilriemen ab, wobei als Warnlampe eigenartigerweise das blaue Fernlicht aufleuchtete. Fehler in der Elektrik wäre nur das geringe Übel gewesen, Kompressionsverlust und durchgebrannte Zylinder wogen hingegen schwerer. Motorentausch war angesagt, sozusagen ein Heimspiel für einen Werkzeugmacher.

Der klassisch getunte 1,3 Liter stammt aus angesprochenem Trike, war bereits mittels Übermaßkolben und modifizierten Zylinderköpfe auf ungefähr 1,6 Liter erweitert worden. „Praktisch wären mit dieser Methode bis 1679 ccm möglich“ erfahren wir, doch die etwas dezentere Lösung reicht immerhin für 50 PS, was im Vergleich zum ursprünglichen Motor einen spürbaren Sprung offenbart.

Der Lack nennt sich Marinogelb L21H, ist ähnlich RAL 1007, hier Narzissengelb genannt. Dercy ist eine verstorbene brasilianische Schauspielerin und Komikerin, die anscheinend mit derben Sprüchen ihr Publikum begeistert hat. Die in Google gefundenen Übersetzungen von „véja a cavalho“ reichen von harmlos bis vulgär. Auf Instagram Bildern erkennt man, dass in Brasilien der geteilte Dachträger installiert bereits war. Das große Faltdach hatte man beim Importeur als zusätzliches Verkaufsargument eingebaut.

Ein bisschen Mehr an Deko geht immer, auch an einem Brasilianer. Pure Attrappe sind die gelben Fernscheinwerfer eines Motorrads, die leider nicht angeschlossen werden dürfen. Die niedlichen Scheinwerferwimpern der Alten Käferschule machen sich auch an einem Bus gut und freilich darf die Sonnenschute nicht fehlen, unter US Car Fans als Sunvisor bekannt. Anstatt der kleinen runden Rückspiegel montierte Bernd Elefantenohren genannte Rückblicker

Der Bus ist keine Standuhr. Bei Nicht-Regen oder Schneefall ist er im täglichen Einsatz zum 20 Kilometer entfernten Arbeitsplatz. Er ist laut, unbequem und mit einem außergewöhnlichem Lenkspiel behaftet. Aber er macht Spaß, unglaublich viel Spaß und sorgt für Aufsehen. Bausparvertrag sei Dank

VW Scene Facts

Typ: VW Bus T1

Baujahr: 1973 (gebaut und restauriert in Brasilien)

Motor: Vierzylinder-Boxermotor Typ AB (1,3 Liter-Gehäuse, Übermaßkolben, aufgedrehte Zylinder Köpfe), ca. 1600 ccm, 34er Solex Fallstromvergaser

Auspuff: Serie

Leistung: 50 PS

Getriebe: 4-Gang Schaltgetriebe

Vorderachse: Einzelradaufhängung, quer liegende Drehstäbe, Stabilisator

Hinterachse: Pendelachse mit Untersetzungsgetrieben, quer liegende Drehstäbe

Bremsanlage: hydraulische Trommelbremsen umlaufend (230 mm)

Felgen: Stahlfelgen mit Chromkappen, 5×14 Zoll, Lochkreis 5×205

Reifen: Nexen, 7.00×14 (185/80R14). Ravus Weißwand-Stecksystem mit Chromrand

Karosserie: 15 Fenster, Exportstoßstangen, gelbe Motorrad-Fernscheinwerfer, Scheinwerferwimpern, Sonnenschute, Faltschiebedach, Elefantenohren-Rückspiegel, Lackierung: Marinogelb (L21H ähnlich RAL 1007) mit lackiertem Dercy Schriftzug, zwei Dachgepäckträger, Leiter hinten links

Interieur: individuell gestaltetes Camperinterieur mit Liegefläche

Text und Fotos: Michael Kolb für VW Scene 1/2023