„Am I Evil“, ein Tribute an Diamond Head und Metallica – 1993er Audi 80 B4. Selten hat ein Auto dermaßen provoziert und polarisiert, seine Betrachter in zwei Lager gespalten. Michael sowie seine Frau Manuela sind Fans der bekannten Metalband Metallica. Michael verarbeitete in Anlehnung an den Text von „Am I Evil“ persönliche Erlebnisse: Zweimal sprang er den Tod von der Schippe. Raus aus der Intensivstation, zurück ins Leben. Für ihn ist der Audi Aufarbeitung des Vergangenen. Sich selbst als Pazifist fordernd mit Unterstützung der Familie. Aggression verarbeiten ohne eigene Aggressivität.

„Am I Evil„ wurde 1980 zunächst  von der Metalband „Diamond Head“ veröffentlicht, bevor Metallica zwei Jahre später den Song in ihr Programm aufnahmen. Es geht um den Tod einer Hexe und Mutter, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Und nun sinnt ihr Sohn nach Rache und singt: Bin ich deshalb böse? Ja ich bin es. In die Rolle des Bösen schlüpft ein Audi 80 B4 des Baujahrs 1993, die Modellpflege des B3 mit dem in die Motorhaube integrierten Grill, was dem Gesicht der Limousine eine angenehme Struktur verleiht. 450 Euro legte Michael hin, um eine zwar originale und rostfreie Karosserie zu erhalten, gleichzeitig jedoch auch mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen am Unterboden. Kurzum, Dreieckslenker und Halterungen ausgebaut, sandgestrahlt und spritzverzinkt. Gummis, Lager und letztendlich ein günstiges Sportfahrwerk gekauft. Low Budget anstatt Big Spender. Chromatiker, Goldgräber und Swarovskis haben eh längst weitergeblättert, denn Michaels Meinung zu bling bling spiegelt sich in jedem Quadratzentimeter. Individuelle Kreationen anstatt spießige Normalität. Eigenhändig gebaute Kreaturen anstatt gekaufter Tuningteile. Selbst entworfene Ideen anstatt billige Kopien. Der Audi hat nichts mit Gewaltverherrlichung zu tun.  Dennoch: entweder du hasst ihn oder du magst ihn.

Michael begann im Innenraum, um Kabel für zusätzliches Licht dorthin zu legen, wo sie hingehören. Mit Baumarkt-Kleber eingepinselte Säcke, verlegt auf Cockpit und Sitze, einem Dreher aus der Gas-Wasser-Installation und einem mit Ketten und Ziernieten verkleidetem Lenkrad am Rand des guten Geschmacks erkundigte er sich beim örtlichen TÜV: „Wie weit darf ich gehen“. Da kein Airbag im Lenkrad, da keine direkt gefährdende Gegenstände an Pralltopf und Kranz, bedeuteten Grünes Licht. Ebenso wie für die verbauten Spielzeugwaffen, meist Wasserpistolen oder Dekoration aus Kunststoff. Die in der Praxis umgesetzte Regel lautet: Solange ein Waffe auf erstem Blick als Spielzeug erkennbar ist, gibt es keine Probleme. Für zahlreich bestandene Kontrollen am Straßenrand hätte er längst eine Strichliste auf der Scheibe anlegen können, so wie es auf manchen Tuningcars zu sehen ist. Für 150 Euro fand er auf dem Schrottplatz Sitze des Audi Quattro, ein Lenkrad und 4 Alufelgen. Der Kleine mit dem Stachelhelm heiß Willi. Der darf mit wegen den Mutter-Kind-Parkplätzen. Nicht jeder besitzt Schaltknauf und Dosenhalter in Totenkopf-Auslegung oder Untote im Kofferraum. In der Rattenszene sind solche Dinge nicht ungewöhnlich, eigentlich so normal wie Spinnen am Dachhimmel. Bei Polizeikontrollen erzeugen vor allem die Untoten Reaktion. Doch Hauptsache Verbandkasten; Warndreieck sind vorhanden. „Die grünen Kontrolleure sind meist unglaublich freundlich“, erzählt Michael, obwohl er selbst das Ensemble als grenzwertig ansieht. 

Letztendlich stecken im Fahrzeug dokumentierte mehrere 100 Stunden an Zeit und exakt 3.485 Euro an Material. Darunter ist auch der Bullenfänger, lediglich eine Dekoration, die sich in der so genannten Zulassungsbescheinigung wieder findet. Dementsprechend wuchs die Gesamtlänge, was ebenso eine Eintragung wert ist. Im Internet bekommt man manche Teile sogar günstiger als auf dem Schrottplatz. Beispielsweise die Finnen eines BMW. Einst arbeitete Michael als Lackierer. Aus dem Abfall sammelte er übrig gebliebene Zahlen und Buchstaben, von denen sich einige am Heck des 80er wieder finden. Ein bisschen Glanz darf schon sein, wofür die Chromleisten um die Heckleuchten als Beweis stehen. Mercedes Heckspoiler sind meist breiter als die eines Audi. Ein Fehler beim Kürzen verursachte ein Teilen desselbigen – es ist eine unbeabsichtigte Hommage an alle geteilten Heckspoiler im Motorsport.  Und der ist genauso eingetragen wie alle genehmigungspflichtigen Anbau- und Einbauteile. Aus dieser Sicht ist der Böse Audi eigentlich ein Guter Audi.

entdeckt beim Motor Nützel VAG-Treffen am 22.Juni 2017 in Hof
fotografiert am 30. März 2018 beim markenoffenen Tuningtreffen am Autohof Windischeschenbach. Die Bilder schlummerten fast zwei Jahre auf meiner Festplatte, bevor mich die Schreibidee überfiel. Der Audi ist mein persönlich krassestes Auto, was ich je für ein Tuning-/Scene Magazin „gefiedscherd“ habe.

Audi 80 2.0E (B4 Typ 8c), Baujahr 1993

Motor: 2 Liter, 1984ccm  (ABK), Leistung (max): 115 PS

Kraftübertragung: 5-Gang Schaltgetriebe

Auspuff: Serie

Fahrwerk: No Name Sportfahrwerk

Bremsen:  Scheiben/Scheiben

Felgen (Herst./Größe):  Audi Stahlfelgen / 7×15

Reifen (Herst./Größe): Apollo Winter/ 195/65×15

Karosserie: Bullenfänger Dekoration, BMW Finnen

Interieur: Audi Quattro Sitze, Eigenkreationen

Text & Fotos: Michael Kolb für Audi Scene 2/2020, reloaded am 6. August 2021