Die Hölle, munkelt man, ist unten, tief unten“. Der Audi von Kfz-Mechaniker Andreas Nelles ist auf dem besten Weg dorthin. „Gute 2 cm fehlen mir noch“, lächelt er im Wissen, was noch zu tun ist.

Es war einmal ein beiger Audi 100 Typ 43 C2 mit 85 PS starker 4-Zylinder Maschine und Automatik. Von einem Rentner gekauft, gefahren, gepflegt, bis er in Hände geriet, die nicht mehr so penibel mit der Limousine umgingen. „Die Automatik kannte nur noch Stufe A und Rückwärts“, schmunzelt Andreas über den für 50 Euro unter eBay geschossenen Audi. Es hätte keine geeignetere und günstigere Basis für sein Low Rider Projekt geben können. Nach üblicher Durchsicht, wobei sich der Audi tatsächlich als rostarmes Rentnerfahrzeug entpuppte, begann er mit im Bereich der Radkästen das Fahrzeug auf „tief und breit“ vorzubereiten. Das Fleisch der hinteren Radläufe reichte aus, um zwei Zentimeter herauszuziehen und mit Feinarbeiten wie Verzinnen und Verspachteln abzuschließen. An der Hinterachse erhöhte er die Schalen im Radhaus, vorne vergrößerte er den Rahmen für die Antriebswellen. Schließlich sollten die Räder bei abgelassenem Luftfahrwerk schier vom Blech verschluckt werden.

Die ebenfalls in eBay ersteigerten Felgen in  8,5×15 Zoll stammen von Mercedes Haustuner AMG und waren auf einem SL montiert. Kaum ausgepackt, wurden die Felgen entlackt, pulverbeschichtet und der Rand poliert. Allerdings hätten die Originalaufnahmen des 1981er Audi 100 in 4×108 die Anbindung der Mercedes Felgen im Lochkreis von 5×112 strikt verweigert. Der Audi 200 besitzt glücklicherweise den gleichen Lochkreis wie Mercedes, womit Andreas gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte: Neben der notwendigen 5-Loch-Anbindung übernahmen an der Vorderachse die Innenbelüfteten Scheibenbremsen des großen Audi die Aufgabe der Entschleunigung. Ohne die Mechanik der Trommelbremsen an der Hinterachse anzutasten, passte er lediglich die 5×112 Aufnahmen an.

In irgendeiner Scheune aus irgendeinem GT Coupé ausgebaut, erlebt der 115 PS starke 1,9 Liter Fünfzylinder Vergaser seine zweite Karriere. Die Motorhalterungen sitzen beim 4-Zylinder um ungefähr 5 cm weiter vorne, was sich durch Umschweißen auf unkomplizierte Art lösen lässt. Ohne Leistungssteigernde Maßnahmen verrichtet der alte Haudegen zuverlässig seinen Dienst, wobei die Auspuffanlage mit Modulen aus irgendeinem Audi 200 das eine oder andere Pferdchen mehr zum Galoppieren bringen mag. Und wenn auch die Leistungsfähigkeit dieses Motors weit unterhalb des Turbo-Triebwerks eines Audi 200 Turbo rangiert, der Innenraum beherrscht das Spiel der damaligen Audis Topklasse.

Nichts ist geblieben vom Rentermief des beigen Unterklässlers, eigentlich gar nichts, da das komplette Textil aus einem 200er erbeutet wurde. Wenn das Interieur dennoch so aussieht wie in damaligen Wohnzimmern, die damalige Klasse versprühte eben den Charme eines gut situierten Salons. Das Lenkrad aus Holz zieht die Blicke auf sich. Kein nachgerüsteter Drehzahlmesser, dafür der Becker Mexiko aus dem Audi seines Vaters sind Ansage an die alte Schule, wenn auch ein moderner Radio sich hinter dem Handschuhfachdeckel versteckt

Klar kannst du alle Hersteller von Luftfahrwerken anfragen, ob für einen 81er Audi 100 ein komplettes Set geliefert werden kann. Mit Sicherheit wirst du unisono die gleiche Antwort erhalten, die dich zur Eigeniniative veranlassen wird. An der Vorderachse nimmt ein doppelwandiger Luftbalk den Platz der Federbeine ein. An der Hinterachse, an der  Federn und Dämpfer getrennt arbeiten, werden die Federn ebenfalls durch je einen Luftbalk ersetzt. Das aus den USA eingekaufte Material wird von Standardware aus dem Viair-Angebot wie Kompressoren und Lufttanks ergänzt. Was noch auf dem Weg in die Hölle zu tun ist? Die fehlenden zwei Zentimeter stecken im Detail, besser gesagt in den Spurstangen und Querlenkern, deren Konstruktion auf dem Weg nach unten im Weg steht. Da Antriebswellen und Radhäuser bereits auf höllische Tiefe vorbereitet wurden, ist Andreas zuversichtlich, den letzten Schritt zu schaffen. Gleichzeitig ist optischer Wandel geplant. Nach zwei Saisons in grüner Folie wird frische Farbgebung den Audi beglücken. Und um ein Zoll kleinere Räder werden den Audi noch tiefer erscheinen lassen. Man soll ihn nur noch am Kennzeichen erkennen.

fotografiert bei ersten VAG Treffen von Motor Nützel auf den ehemaligen Haedler-Gelände am 4. Juli 2015

Audi 100 Typ 43 C2 (1981)

Motor: 1.9 Liter Vergaser, 115 PS

Auspuff: Audi 200 Turboab Hosenrohr

Kraftübertragung: Automatik

Fahrwerk (va/ha): Luftfahrwerk Eigenbau, doppelwandige Luftbälge für die Vorderachse aus USA; 20 Liter Tank, 480 und 360er Kompressoren

Felgen (Herst./Größe):  AMG Alufelgen, pulverbeschichtet, Felgenhorn poliert / 8,5 x 18 ET 33, original Lochkreis 4×108 umgebaut auf 5×112 vom Audi 200

Bereifung (Herst./Größe):  Nankang 215/35×18

Bremsen(vo/hi): vorne Innenbelüftete Scheibenbremsen, hinten Trommelbremse vom Audi 100 c4,

Weitere Extras: Frontspoiler 200er Turbo, Chromtürgriffe Vor-Modellpflege, Schweinwerfer-Rahmen Audi 200, Heckleuchten Audi 200

Interieur: Sitze, Cockpit aus Audi 200 Turbo, 34er Holzlenkrad unbekannter Herkunft

ICE: Becker Mexiko

Danksagung: Car Wrap Center Sonneberg, Oliver Steuerwald, Felgendoktor Saalfeld

Text & Fotos: Michael Kolb für Audi Scene 4/2015, reloaded für Tuningcars am 11. Juli 2021