Stellt Euch mal vor, wir würden wie auf Tausenden von Internet-Seiten, Fotos ohne Beschreibung von diesem Escort einstellen. Was ist denn das für eine komische Frontpartie? Und diese Heckleuchten gehen eigentlich gar nicht. Spinnt der Besitzer? Klar spinnt der! Jeder am  Rust `n` Roll Treffen in Pößneck teilnimmt oder es besucht, läuft sowieso jenseits der Spur. Wie Jürgen Bartilewski und der Autor dieser Geschichte.

Zwischen veredelten Trabanten, rattigen Volkswagen und zugemüllten Astras parkt ein Escort Turnier. Sein Gesicht ist dem eines frühen T-Bird nachempfunden. Die Heckpartie plärrt den Rock ´n’ Roll der 50er in die Tagfahrlichter des Hintermanns. Der aufgemalte Haken á la 56er Ford Fairlane ist eine bodenlose Frechheit. Und überhaupt: Verdreckte Weißwandringe, verstaubtes Mattschwarz und ein mit Totenkopf-Comix beklebtes Cockpit: Was verdammt noch mal hat dieses Fahrzeug in der Ford Drive zu suchen, wo duzende von Chromatiker ungeküsst bleiben müssen. „Mir war der grünmetallic lackierte Turnier zu langweilig geworden“, lacht Jürgen. Jeder vernünftige Tuningfan hätte die Leichtmetaller aus dem Baumarkt gegen fette Tunerfelgen getauscht, dem Escort einen brutalem Tiefgang und allerlei Schnickschnack verpasst. Jürgen bog in die entgegen gesetzte Fahrtrichtung ab, weil der Drecks-Volkswagen des Kumpels Gerhard als rattiges Vorbild in den Gehirnwindungen kleben blieb. „Was nicht jeder hat“ behaupten viele von ihrem Auto. Dieser Turnier ist und wird wohl für ewige Zeiten ein Einzelstück bleiben.

Die Frontpartie besteht aus einer Mischung von Teilen einer Küchenentlüftung und verschiedenen Griffen aus dem Möbelmarkt, die aus Konkursware aufgekauft wurden. Die Herkunft der Chromleisten soll kein Geheimnis bleiben – Kühlergrill Schubladengriffe, Rachen Universalgriffe – nennen wir diese Kombination „Möbelmarkt-Tuning“. Über den Augen der BMW E34 Doppelscheinwerfer wölben sich Hutzen aus selbst gegossenem Kunstharz, geschminkt mit verchromten Augenlidern, flankiert von Lüftungsschlitzen von einem VW T2- Bus. Auch die auf die Motorhaube geschweißte Hutze entstand in Jürgens Giftküche. Der Fahrtrichtungswechsel wird von Blinkern des Mini Cooper aus Vor-BMW-Produktion angezeigt. Für 4$ plus Versand ließ Jürgen aus den Staaten „Fender Topper“ (Windsplits auf dem Kotflügel) eines 63er Ford Fairlane schicken.

Das Aussehen der Heckpartie ist ebenfalls eine Hommage an die 50ies, in denen runde Heckleuchten in Flossen integriert wurden. Dass Heckklappen von Schlössern und Wischer befreit sind, liest man Tausendfach, doch das Entfernen originaler Rückleuchten ist auf Grund des hohen Aufwands weniger populär. Jürgen stopfte den Leerraum mit einem in einer Schlosserei gefertigtem Rohr, dem so genannten Lampentopf, der sich bis zur Türe hin verjüngt und zur Zierde mit einem Trio Patronenhülsen dekoriert wurde. Bemerkenswert: Die Heckleuchten aus dem LKW-Bau besitzen eine Zulassung für Gefahrengut-Transporter. Darunter befinden sich Begrenzungsleuchten mit der Funktion von Rückfahrleuchten. Zusätzlich brachte Jürgen unterhalb des mittigen Nebelrücklichts einen Nebelscheinwerfer an, der ebenfalls mit dem Rückwärtsgang gekoppelt ist. Zu langweilig erschien die gecleante Fläche der Heckklappe, die mit Zierleisten und einem Fenstergriff ohne Funktion garniert wurde. Weil`s gut aussieht.

Die Machart der Räder ist typisch für rattige Oldschooler. Bereifungen mit aufgemalten Weißwandringen, die seit Monaten nicht mehr gesäubert wurden und auf rot lackierten Stahlfelgen sitzen. „Chrom war zu teuer“ verteidigt Jürgen seinen Escort, der nicht einmal ein Luftfahrwerk besitzt und notgedrungen mit kürzeren Federn den Weg näher zum Asphalt findet. Anstatt Leder im Innenraum klebt Skelett-Stoff auf dem Armaturenbrett und Leo-Muster an den Seitenwänden. Auf dem Ghia-Furnier des Cockpits sieht man mit Edding gemalte Spinnennetze, die in rot-schwarzem Airbrush gefangen wurden.

Das 2011er Treffen der Sourkrauts in Pößneck war Jürgens Einstand in der rattigen Szene, wo er eine Menge Erfahrungen mit derartigen Fahrzeugen sammeln konnte. Von Beruf ist Jürgen Fliesenleger. Vielleicht steht im nächsten Jahr ein Escort mit gefliestem Fußraum beim populärsten Oldschool-Rattentreffen Deutschlands.

TYP: Ford Escort Turnier 1,8i Ghia (1995)

MOTOR: 1796 ccm Reihenvierzylinder, 16V, DOHC, 115 PS

AUSPUFF: Serie

GETRIEBE: 5-Gang Schaltgetriebe

FAHRWERK: Federn K.A.W., Vorne -60mm, Hinten -40mm

BREMSEN: Scheiben/Trommeln (Serie)

RÄDER: Ford Stahlfelgen in 5×13 Zoll, Marangoni 175/70 R13 mit aufgemalten Weißwandringen

KAROSSERIE: Möbelmarkt-Grill, BMW E34 Scheinwerfer, Frontblinker Mini Cooper , VW-Bus T2-Lufteinlässe, Hutzen aus gegossenen Kunstharz, Seitenblinker schwarz, Fender Topper 63er Ford Fairlane, Spritzlappen Ford Taunus, LKW-Heckleuchten in Eigenbau-Rohren.

INTERIEUR: Armaturenbrett mit Skelett-Stoff (Dia de los muertos) beklebt, Handschuhfach,  Ablagen und Mittelkonsole mit Karostoff und Leopardenstoff beklebt. Himmel und Seitenteile mit Leo-Stoff beklebt.

Text & Bilder: Michael Kolb für Ford Drive 2012, reloaded für Tuningcars  am 11. Mai 2021