… über die 1968 vorgestellte Mercedes Baureihe Strich-8 (W114/W115) sind längst verraucht. Der letzte „Aufrechte Benz“ wird nicht nur unter Oldtimerfans gefeiert. Beim Racingday in Wackersdorf begegnen wir einen der seltenen 3 Liter Fünfzylinder mit dezenten Tuningmaßnahmen. Ein Hoch dem tiefen Strich Acht !!

Im Zeitalter des Windkanals, der Ökonomie und der unglaublich sparsamen Sparkanonen trifft man gerne einem Zeitzeugen der automobilen Diesellokomotiven. Der Strich-8 ist der Brückenschlag zwischen der „kleinen Flosse“ (W111/W112) und dem Mittelklasse-Modell W123. Die W115 Dieselmodelle ertragen den Spott „Bauern Benz“ mit der Gelassenheit, so wie der 55PS 200D „Jungbauer“ und seine Mägde vom Hof zum Acker schipperte. Den 185 PS starken Sechszylinder des 280E oder gar Coupé (W114 CE) nutzen Yuppies als Einstiegshilfe in die Oberklasse. Der Strich-8 ist zwar populärer, aber stets weniger Aufsehen erregender ais die S-Klasse W108, ebenfalls mit aufrecht angeordneten Scheinwerfern ausgestattet.

 „Verlebter Originalzustand ohne Rost mit ein wenig Patina“ beschreibt Autohändler Marco Meller den Erstkontakt zwischen Mensch und Maschine und fährt fort, dass er den in Hannover aufgetriebenen Strich-8 für sich selbst gekauft hat, weil er einen der seltenen 3-Liter Dieselmotoren besitzt. Tatsächlich debütierte der 240D 3.0 erst im Herbst 1974, also zwei Jahre vor Modellwechsel. Ungewohnte Durchzugskraft, Laufruhe  und Fahrleistungen, wie man sie von einem Diesel nicht gewohnt waren, attestierten Tester und Kunden dem Fünfzylinder-Vorkammerdiesel mit sechsfach gelagerter Kurbelwelle. Die Nockenwelle des OM617-912 aus dem W123 300D bietet fast 1 mm mehr Nockenhub und dadurch mehr Füllung. Anpassung der Volllastmenge in der Bosch Einspritzpumpe sowie radikales Ausräumen der Auspuffanlage kratzen an der 100 PS Marke.

Unter uns, der Benz jagte in Wackersdorf 130,2 db durch das Mikro der Phon-Messung. Auch auf dem Beifahrersitz überfällt einem nie das Gefühl, in einem „Bauernbenz“ zu sitzen. Mit Krawumm und sattem Durchzug werden 1,5 Tonnen vom gepuschten Fünfzylinder beschleunigt. Zum Zeitpunkt des Fototermins hatte Marco einen Fächerkrümmer in Bearbeitung, was auf Grund des Platzmangels im Motorraum sowie der notwendig gleich langen Abgasstränge mehr als nur ein Feierabendprogramm sein wird

Im Innenraum fallen einige Modifikationen auf. Der 75er Strich-8 gehört zur Serie 2, die mit umschäumten Lenkrad mit großer Prallplatte und Kopfstützen ausgeliefert wurde. Freilich sieht das Nardi Volant mit nachträglichem Stern besser aus als die klobige Serie und nach notwendigem Beziehen der Sitze durften die Kopfstützen draußen bleiben. Sensationell ist die Navigation namens Comand 2.0, wie sie in den Modellen W210 oder W220 verbaut ist. Die Signale kommen via GPS und von einem digitalen Geschwindigkeitssignal. Wie funktioniert das bei einer Tachowelle? Ein Magnet mit Sensor generiert seine Signale aus den Umdrehungen der Kardanwelle und gibt diese an die Navi weiter. Weitere Ausstattungsmerkmale sind Schaltknauf des W123, Sitzheizung und Schiebedach.

Die Serie 2 ist im direkten Frontvergleich mit dem Ur-Strich-8 anhand an den geriffelten Heckleuchten und des breiteren Kühlergrills zu identifizieren. Die Karosserie blieb im Wesentlichen unverändert. Nur der Lack ist nicht Original, sondern ein vom Vorbesitzer lackiertes Taubengrau, das wahrscheinlich aus der Farbenpalette von Volkswagen stammt. Die optisch ansprechende Nähe zum Asphalt wird mit Sportfedern für den W123 erreicht. Rote Dämpfer von Koni ersetzen die der Serie, das die Differenz von ungefähr 10cm den Serienfedern den Garaus gemacht hätte. Freilich sind die Räder aus Leichtmetall und von der klassischen Art. Nicht übertrieben, sondern in passender Dimension von 8×16 Zoll ET 11. Die bullige Erscheinung unterstützen 225er Reifen im unterschiedlichen Niederquerschnitt (va 40, ha 50)

Erhalten lautet Marcos Devise, wenn auch Träumen noch erlaubt ist. Der für den US Markt bestimmte Turbomotor des Typs OM 617.952 stände auf der Wunschliste und ein Drehzahlmesser anstatt der Uhr.

Mercedes 240D 3.0 (W115 D30), Baujahr 1975

Motor: 5-Zylinder-Reihenmotor Vorkammer Diesel (OM617), offener Luftfilter, Nockenwelle aus W123 (OM617.912), Einspritzanlage modifiziert, Serie 80 PS, ca. 95 PS

Auspuff: durchgehendes Rohr, Doppelendrohre

Getriebe:  4-Gang Serie

Bremsen: Scheiben (273mm) / Trommeln 279 mm

Räder: RIAL Cobra 8×16 ET 11

Reifen:  Pirelli P7000, 225/40, 225/50

Fahrwerk: Koni rot, modifizierte Sportfedern für W123 (ca.   10cmm tiefer)

Karosserie: Originalzustand, Lackierung Taubengrau

Interieur: W124er Schaltknauf, Nardi Holzlenkrad, Leder neu bezogen, Sonderausstattung Mittelarmlehne hinten, Sitzheizung, Schiebedach, Comand (COckpit MANagement Display) 2,0 Navigation (Sensor an Kardanwelle für Digitales Signal)

Text & Fotos: Michael Kolb für Mercedes Tuner 3/2012, fotografiert bei den Racing Days Wackersdorf, reloaded für Tuningcars am 2. April 2021